Aleppo

Es geht noch ein paar Kilometer durch das extrem gesicherte Niemandsland der syrischen Grenze. Dann über einen kleinen Hügel und - Mit einem Schlag beginnt eine völlig andere Welt. So als hätte Doc Brown einen in die Vergangenheit geschossen. Die ersten Dörfer durch die wir fahren machen einen sehr ärmlichen Eindruck. Die Kleidung der Menschen, die Straßen, die Häuser, die Fahrzeuge - alles ist anders. Eselskarren und viele Leute, die Säcke und Körbe schleppen. Die Häuser alle einfarbig grau-weiß. Umgebaute, bunt bemalte Lkws, aus den 70ern sind hier das Haupttransportmittel.
Die ziehen große schwarze Rauchwolken hinter sich her. Beim überholen muss man immer die Luft anhalten. Abends hat man das Gesicht schwarz vom Dieselruß. Und noch etwas hat sich verändert. Die Leute stehen überall in den Dörfern am Straßenrand,  jubeln uns zu, und klatschen Beifall, wenn wir dadurch donnern. Waaahnsinn ! Mir wird erneut bewusst wie weit wir schon von Siegen weg sind. „Ja, hier beginnt wirklich der Orient, jetzt sind wir in Asien angekommen.“ Die Euphorie der Leute, die uns Beifall klatschen, beschämt mich aber auch gleichzeitig. Ich denke mir: „Ein normaler syrischer Jugendlicher wird sich wohl niemals ein Motorrad unserer (für westliche Verhältnisse ja eher bescheidenen) Kategorie leisten können.“ Der Moment des Eintauchens in diese fremde Kultur ist so bewegend für mich, dass ich ganz leicht feuchte Augen bekomme. Es dämmert schon, und wir nehmen die letzten 60 Kilometer zum Etappenziel relativ zügig.

Aleppo (Halab) zweitgrößte, aber bevölkerungsreichste Stadt Syriens. Hier fährt jeder wie er will, und mit was er will. Fahrspuren sind relativ. Es gilt eher das Prinzip des freien Raumes. Es wird halt da gefahren, wo gerade Platz ist. Die hoch beladenen Lkws fahren an den Ampelstaus der Innenstadt auf Zentimeter an uns ran, die Fahrer winken uns. Ich deute es als freundlichen Gruß, denn sie lachen uns alle freundlich an. Sich anhand der Beschilderung zu recht zu finden ist quasi unmöglich, denn die gibt es nur eher selten, und wenn, dann natürlich in arabischer Schrift. Bei der Einfahrt in einen Kreisverkehr wird Werner um Sackhaaresbreite von einem Taxi abgeschossen. Echt knapp ! Erhöhter Schutzengelverschleiß.
Werner und ich hatten am Abend zuvor, in Göreme, den Stadtplan Aleppos genauestens studiert, es war klar wo wir hin wollten. In die Altstadt in die Nähe der Zitadelle. Die grobe Himmelsrichtung steht fest, und irgendwann fahren wir dann durch die sehr engen Gassen der Altstadt. Die Teneré macht einen gewaltigen Sound in diesem Gassenlabyrinth. Ich denke mir noch: “Mit einem richtig breiten Chopperlenker würde man hier gar nicht durchpassen“.

Wir halten an einer Kreuzung vor Aleppos berühmter Zitadelle. Sofort sind wir von einer Horde Menschen umzingelt, hauptsächlich Kinder. Die Verständigung ist kein großes Problem. Ich bin verwundert dass die meisten uns auf Englisch ansprechen. Rugard und Werner bleiben bei den Mopeds, und ich frage mich in der Umgebung etwas durch, bezüglich einer Übernachtungsmöglichkeit. Überall werde ich sehr freundlich begrüßt und beraten. „You´re welcome.“ Das ist aber nicht nur „ein Spruch“, man spürt dass es ehrlich gemeint ist.

Ich bekomme einen Tipp von einem syrischen Händler und wir folgen der Wegbeschreibung. Nach einer einbahnstraßenbedingten, großen Extrarunde durch Aleppo finden wir dann endlich ein Hotel. Die Gassen sind so schmal und verwinkelt, man würde eine solche Location  hier niemals vermuten. Das Hotel kann man wirklich als „arabischen Traum“ bezeichnen. Marmorfußböden mit Mosaiken, Schnitzereien an Decke und Türen, arabische Lampen, alles vom Feinsten. Und es liegt auch noch mitten in der Altstadt gegenüber der Zitadelle.
Wir werden sehr freundlich Empfangen und der Preis ist in Ordnung. Allerdings gibt es ein Parkproblem. Nachdem wir abgeladen hatten, und die Mopeds vor dem Hotel geparkt hatten, scharte sich eine Horde von Kindern um die Bikes. Die Motorräder waren „die“ Attraktion in der Altstadt. Jeder wollte am liebsten mal drauf sitzen, und an allen Hebeln spielen. Kann ich absolut verstehen. Aber der Hotelmanager meinte das sei zu gefährlich, wir sollten die Bikes lieber in der Lobby parken. „Am besten hier, direkt hinter dem Springbrunnen“. Wir sehen ihn ungläubig an. Die dreckigen Karren jetzt in diese edle Hotelhalle fahren ? Er sagte: „Doch, doch“,  das wäre kein Problem, dort wären sie sicherer.
Gesagt, getan. Eine Marmorstufe gibt es vor dem Eingang. Rugard mit der Teneré nimmt Anlauf und hat die Treppe, ruck zuck, wie nichts überwunden. Ich denke mir: „Das kann ich auch“, wofür hab ich denn ´ne Transalp. Dummerweise hatte ich nicht mehr so ganz auf dem Schirm, dass ich mir kurz vor der Tour einen Hauptständer an die Transe gebaut hatte. (Der Hauptständer reduziert die Bodenfreiheit erheblich, ist aber sehr hilfreich beim Reifenwechseln) Ich hole Anlauf, komme auch die Stufe hoch, aber mit einem sehr unschönen Geräusch, bleibe ich mit dem Hauptständer an der Stufe hängen, und haue dort eine große Ecke raus. Der Hotelmanager nimmt es gelassen. „You´re welcome“. Für Werners Chopper besorgen wir dann doch lieber ein Brett zum hochfahren. In der Lobby scharen sich dann die Hotelangestellten um die Bikes. Sie schieben noch zwei Palmen vor die Mopeds, dass sie nicht ganz so ins Auge fallen. Alle zeigen großes Interesse an den Motorrädern und Rugard beantwortet technische Fragen. Ich frage mich: „Warum macht so ein (Sch….) Chopper immer am meisten Eindruck auf die Leute ? Selbst hier in Syrien ?“

45 Minuten später sitzen wir frisch geduscht auf der Dachterasse des Hotels. Ein herrlicher Ausblick auf das nächtliche Aleppo und die Zitadelle. Wir genießen außerordentlich leckere einheimische Speisen. (Vielleicht war gerade das ein riesengroßer Fehler.) Das Hotel ist in jeder Hinsicht ein Traum.
Anschließend sehen wir uns dass nächtliche Aleppo an. Ich bin verwundert wie viele Frauen hier durchaus westlich gekleidet und ohne Kopftuch in den Cafés sitzen. Es gibt natürlich keinen Alkohol, dafür dampfen an jedem Tisch die Wasserpfeifen. Neben der, in Syrien und Jordanien üblichen, strikten Trennung der Gaststätten zwischen Frauen und Männern, gibt es hier in Aleppo aber auch Lokalitäten für Familien oder Paare. Wir unternehmen noch einen Rundgang durch die schmalen Gassen der Altstadt.
Am nächsten Morgen besichtigen wir die eindrucksvolle Zitadelle. Anscheinend mache ich mit meinen langen Haaren hier einen solch außerirdischen Eindruck, dass ein kleines Mädchen unbedingt mit mir gemeinsam fotografiert werden möchte.
Aleppo wird auch „die graue Stadt“ genannt. Wenn man oben von der Zitadelle blickt weiß man auch warum. Außer den gelben Taxis gibt es kaum etwas Buntes.  Ich frage mich, wovon die Menschen hier wohl leben. Man sieht nur ganz wenige Geschäfte, Industrie so gut wie gar nicht.

Diese Frage klärt sich viel schneller als gedacht. Denn so grau Aleppo von oben aussieht, so bunt und farbenfroh geht es in dem unterirdischen Souk (Markt) zu. Die Altstadt ist komplett untertunnelt und in den Steingewölben offenbart sich in einem 12km langen Gewölbelabyrinth, ein orientalischer Basar, wie er schillernder nicht sein könnte. Hier gibt es alles, aber auch wirklich fast alles. Der Souk ist in unterschiedliche Bereiche eingeteilt. Eine Gasse nur Schuster, dann Metzger, Handwerker aller art, Gold und Schmuck, Teppiche, Gewürze, Seide und Stoffe, Seife, auch Finanzdienstleistungen, ein Badehaus. Alte Männer die Schuhe reparieren, bunte Gewürzstände und Kinder die hinter der Theke dösen. Die Händler können sich in ihren winzigen Läden kaum bewegen, weil sie rundherum von ihren Waren „eingemauert“ sind. In der Frisörabteilung wollen sie mir wieder an die Haare - „cutte cutte cutte“ rufen sie, ich lehne dankend ab. Hier befinden wir uns jetzt wirklich im Orient. Ich würde sagen, der Souk von Aleppo hat durchaus noch ein „ursprüngliches“ Flair. Touristen sind hier eher eine Aussnahme. Hier machen die Einheimischen ihre Geschäfte. Es gibt zwar hier und da auch schon mal Stände mit billigen Souvenirs, aber die sind eher selten.

Zurück im Hotel genießen wir, bei diversen Eis und Kaffee, noch etwas die Atmosphäre in dem prächtigen Innenhof. Werner packt die Klampfe aus. Die Temperaturen im Souk haben uns etwas zugesetzt und ich male mir aus wie geil es doch wäre sich in den Fluten des Mittelmeeres etwas Abkühlung zu verschaffen. Wir beschließen einen Abstecher an die syrische Mittelmeerküste nach Tartus zu machen. Gesagt, getan...

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